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Bouvard und Pécuchet: Roman aus dem Nachlass

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Bouvard und Pécuchet: Roman aus dem Nachlass von Gustave Flaubert Bouvard und Pécuchet (französischer Originaltitel: Bouvard et Pécuchet) ist ein unvollendeter satirischer Schelmenroman von Gustave Flaubert. Er erschien 1881, ein Jahr nach Flauberts Tod.Flaubert konzipierte den Roman bereits im Jahr 1863, begann aber erst im August 1874 mit der Niederschrift. Im Laufe der Zeit wurde er von der Arbeit an dem Buch so besessen, dass er behauptete, über 1500 Bücher zur Vorbereitung der Niederschrift gelesen zu haben. Er bezeichnete es selbst als sein Meisterwerk, das alle seine anderen Werke übertreffe.Der Roman beschreibt die Abenteuer der beiden Pariser Büroangestellten (Kopisten) François Denys Bartholomée Bouvard und Cyrille Romain Juste Pécuchet. Sie sind im gleichen Lebensalter und haben ein fast identisches Naturell. Sie treffen einander an einem heißen Sommertag im Jahre 1838 und schließen augenblicklich eine symbiotische Freundschaft.Als Bouvard ein beträchtliches Vermögen erbt, entscheiden die beiden, sich auf dem Land niederzulassen. Sie finden ein Grundstück in der Nähe des Ortes Chavignolles, zwischen Caen und Falaise im Département Calvados in der Normandie gelegen. Die Suche nach intellektueller Anregung führt sie im Laufe der Jahre durch nahezu alle Wissenszweige.

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I-1
IEine Hitze von dreiunddreißig Grad machte den Boulevard Bourdon vollständig menschenleer. Unterhalb desselben dehnte sich in gerader Linie das tintenschwarze Wasser des Kanals Saint-Martin, der durch die beiden Schleusen abgeschlossen war. Mitten darauf lag ein mit Holz beladenes Boot, und am Ufer sah man zwei Reihen Tonnen. Jenseits des Kanals erschien zwischen den Häusern, die von Lagerschuppen unterbrochen werden, der weite, klare Himmel in lasurblauen Flächen, und von den zurückgeworfenen Sonnenstrahlen blendeten die weißen Fassaden der Schieferdächer, die Kais aus Granit. Ein verworrenes Geräusch lag fern in der warmen Luft; und alles schien erstarrt in der sonntäglichen Untätigkeit und der Traurigkeit der Sommertage. Zwei Männer erschienen. Der eine kam vom Bastille-Platz, der andere aus dem Botanischen Garten. Der größere, in einem Leinenanzug, ging, den Hut im Nacken, die Weste geöffnet und die Halsbinde in der Hand. Der kleinere, dessen Körper in einem kastanienbraunen Rock steckte, trug den Kopf gesenkt unter einer Mütze mit spitzem Schirm. Als sie bis zur Mitte des Boulevards gekommen waren, setzten sie sich im selben Augenblick auf dieselbe Bank. Um sich die Stirn zu trocknen, nahmen sie ihre Kopfbedeckung ab, die jeder neben sich legte; und der kleine Mann bemerkte, daß in dem Hute seines Nachbarn „Bouvard“ geschrieben stand, während dieser leicht in der Mütze des Unbekannten im Rock das Wort „Pécuchet“ unterschied. „Sieh da,“ sagte er, „wir haben denselben Gedanken gehabt, nämlich unsere Namen in unsere Schädelbedeckungen zu schreiben.“ „Lieber Gott, ja, man könnte mir die meinige im Bureau nehmen!“ „Ganz mein Fall, ich bin Beamter.“ Darauf betrachteten sie einander. Das liebenswürdige Äußere Bouvards nahm sogleich Pécuchet gefangen. Seine bläulichen Augen, die stets halb zugekniffen waren, lächelten in einem Gesicht von gesunder Farbe. Eine Hose mit großem Latz, die unten auf seinen Kastorschuhen Falten warf, umschloß fest seinen Leib und bewirkte, daß sich das Hemd am Gurt bauschte; und seine blonden Haare, die sich von selbst in leichte Locken legten, gaben ihm etwas Kindliches. Von der Spitze seiner Lippen kam eine Art von ununterbrochenem Pfeifen. Das ernste Äußere Pécuchets fesselte Bouvards Aufmerksamkeit. Man hätte glauben können, er trüge eine Perücke, so schmiegsam und schwarz waren die Strähnen, die seinen Schädel bedeckten. Sein Gesicht erschien ganz scharfkantig durch die weit herabgehende Nase. Seine Beine, die in Lastinghosen steckten, standen in einem Mißverhältnis zur Länge des Oberkörpers. Er hatte eine laute, tiefe Stimme. Folgender Ausruf entschlüpfte ihm: „Wie wohl würde man sich auf dem Lande fühlen!“ Aber das Weichbild war nach Bouvards Ansicht unausstehlich durch den Lärm der Kneipen. Pécuchet dachte ebenso. Trotzdem fühlte er sich allmählich der Hauptstadt überdrüssig; Bouvard desgleichen. Und ihre Augen wanderten über die zum Bauen aufgeschichteten Steinhaufen, über das widerliche Wasser, auf dem ein Strohbündel schwamm, über den Schornstein einer Fabrik, der sich am Horizont erhob; die Ausdünstungen der Abwässer lagen in der Luft. Sie wandten sich nach der anderen Seite. Da hatten sie die Mauern der Getreidespeicher vor sich. Ganz gewiß — und Pécuchet schien davon überrascht — es war auf der Straße noch heißer als im Hause! Bouvard suchte ihn zu veranlassen, seinen Rock abzulegen. Er für seinen Teil kehre sich nicht daran, was man darüber sagen würde! Plötzlich torkelte ein Betrunkener den Bürgersteig entlang; und von den Arbeitern ausgehend, schnitten sie ein politisches Gespräch an. Ihre Anschauungen waren die gleichen, wenn auch Bouvard vielleicht etwas liberaler war. Gerassel erscholl auf dem Pflaster in einer wirbelnden Staubwolke. Es waren drei Mietwagen, die in der Richtung auf Bercy davonfuhren. Eine eben getraute junge Frau mit dem Hochzeitsbukett, Bürger in weißer Krawatte, Damen, die bis unter die Achsel in ihre Röcke vergraben waren, zwei bis drei kleine Mädchen und ein Schüler saßen darin. Der Anblick dieser Hochzeitsgesellschaft brachte Bouvards und Pécuchets Unterhaltung auf die Frauen, die sie für frivol, zänkisch und eigensinnig erklärten. Trotzdem seien sie oft besser als die Männer; manchmal seien sie auch schlechter. Kurz, es sei gescheiter, ohne sie zu leben; daher war Pécuchet auch Junggeselle geblieben. „Was mich betrifft, so bin ich Witwer“, sagte Bouvard, „und kinderlos!“ „Das ist am Ende ein Glück für Sie! Doch die Einsamkeit ist auf die Dauer traurig.“ Dann erschien am Rande des Kais ein Freudenmädchen mit einem Soldaten. Sie war blaß, dunkelhaarig und pockennarbig und stützte sich auf den Arm des Militärs, während sie schleppenden Schrittes die Hüften wiegte. Als sie vorüber war, erlaubte sich Bouvard eine obszöne Bemerkung. Pécuchet wurde sehr rot und wies, ohne Zweifel, um einer Antwort auszuweichen, mit dem Blick auf einen Priester, der näher kam. Der Geistliche schritt langsam die Avenue mit den dürren kleinen Ulmen herab, die die Linie des Bürgersteiges anzeigen, und sobald Bouvard den Dreispitz aus den Augen verloren hatte, erklärte er sich für erleichtert, denn er verabscheute die Jesuiten. Ohne sie von ihren Sünden freisprechen zu wollen, zeigte Pécuchet eine gewisse Achtung vor der Religion. Unterdessen sank die Dämmerung, und gegenüber wurden die Jalousien aufgezogen. Die Vorübergehenden mehrten sich. Es schlug sieben. Ihre Worte strömten, ohne zu versiegen. Allgemeine Bemerkungen wechselten mit Anekdoten, philosophische Sentenzen mit persönlichen Betrachtungen. Sie ließen kein gutes Haar an der Verwaltung der Brücken- und Wegebauten, an der Tabakregie, dem Handel, dem Theater, an unserer Marine und dem ganzen menschlichen Geschlecht, wie Leute, die große Kränkungen erlitten haben. Jeder glaubte, während er den andern hörte, etwas von sich selbst wiederzufinden, das in Vergessenheit geraten war. Und obgleich sie die Zeit naiver Begeisterungen hinter sich hatten, empfanden sie doch eine ihnen neue Lust, eine Art überströmenden Glücksgefühls, den Reiz zärtlicher Gefühle in ihrem Anfangsstadium. Zwanzigmal waren sie aufgestanden, hatten sich wieder hingesetzt und waren den Boulevard von der oberen Schleuse bis zur unteren Schleuse hinabgeschritten; jedesmal wollten sie sich trennen und fanden, durch einen Zauber festgehalten, nicht die Kraft dazu. Dennoch nahmen sie Abschied, und ihre Hände lagen ineinander, als Bouvard plötzlich sagte: „Meiner Treu! Wenn wir zusammen äßen!“ „Ich dachte daran,“ erwiderte Pécuchet, „aber ich wagte nicht, Ihnen den Vorschlag zu machen!“ Und er ließ sich in ein dem Rathaus gegenüberliegendes kleines Restaurant führen, wo man gut untergebracht sein würde. Bouvard bestellte die Speisen. Pécuchet hatte Furcht vor Gewürzen, da sie ihm den Körper in Brand setzen könnten. Das gab Anlaß zu einer medizinischen Erörterung. Dann priesen sie den Nutzen der Wissenschaft: wie viel wissenswerte Dinge, was für Forschungen ... wenn man Zeit dazu hätte! Ach! Der Broterwerb nahm sie ganz in Anspruch; und sie erhoben die Arme vor Staunen und hätten sich beinahe über den Tisch umarmt, als sie entdeckten, daß sie alle beide Schreiber waren, Bouvard in einem Handelshause, Pécuchet im Marineministerium; was ihn jedoch nicht hinderte, jeden Abend einige Augenblicke dem Studium zu widmen. Er hatte in Thiers’ Werke Fehler angemerkt und sprach mit der höchsten Achtung von einem gewissen Dumouchel, der Professor war. Bouvard war ihm in anderer Hinsicht überlegen. Seine aus Haaren geflochtene Uhrkette und die Art, wie er die Remoulade rührte, zeigten den alten erfahrenen Genießer, und er aß, den Zipfel der Serviette unter der Achsel, während er Witze zum besten gab, die Pécuchet zum Lachen brachten. Es war ein besonderes Lachen in einem einzigen sehr tiefen Ton, der immer derselbe blieb und in langen Zwischenräumen hervorgestoßen wurde. Dasjenige Bouvards war gleichmäßig klangvoll, entblößte seine Zähne, setzte seine Schultern in Bewegung, und die Gäste vor der Tür drehten sich danach um. Als das Mahl beendigt war, gingen sie in ein anderes Lokal, um den Kaffee einzunehmen. Pécuchet seufzte, während er die Gasflammen anschaute, über das Überhandnehmen des Luxus; dann schob er mit verächtlicher Handbewegung die Zeitungen fort. Bouvard war in diesem Punkte nachsichtiger. Er liebte im allgemeinen alle Schriftsteller und hatte in seiner Jugend Lust gehabt, Schauspieler zu werden. Er wollte mit einem Billardstock und zwei Elfenbeinkugeln equilibristische Kunststücke ausführen, wie Barberou, einer seiner Freunde, sie machte. Stets fielen die Kugeln zu Boden und verschwanden zwischen den Beinen der Gäste, auf dem Fußboden rollend, im Hintergrunde. Der Kellner, der sich jedesmal erhob, um sie auf allen Vieren kriechend unter den Bänken zu suchen, beklagte sich schließlich. Pécuchet geriet mit ihm in Streit; der Wirt kam dazu, doch Pécuchet wollte seine Entschuldigung nicht anhören und bei der Bezahlung mäkelte er sogar an dem vorgesetzten Kaffee herum. Er schlug schließlich vor, den Abend friedlich in seiner Wohnung zu beschließen, die ganz nahe in der Rue Saint-Martin lag. Kaum war er eingetreten, so legte er eine Art Wams aus indischem Kattun an und machte den Wirt seiner Wohnung. Ein Schreibtisch aus Tannenholz, der gerade in der Mitte stand, störte durch seine Ecken, und ringsherum lagen auf Brettern, den drei Stühlen, dem alten Lehnsessel und in den Ecken bunt durcheinander mehrere Bände der Enzyklopädie Roret, das Handbuch des Magnetiseurs, ein Fénelon, andere Schmöker neben Haufen von Schreibpapier, zwei Kokosnüssen, verschiedenen Denkmünzen, einer türkischen Mütze und Muscheln, die Dumouchel aus le Havre mitgebracht hatte. Eine Lage von Staub bedeckte samtartig die Wände, die einst gelb gestrichen gewesen waren. Die Stiefelbürste lag auf dem Rande des Bettes, dessen Laken herabhingen. An der Decke sah man einen großen schwarzen Fleck, der durch den Lampenruß entstanden war. Bouvard bat, ohne Zweifel wegen des Geruches, das Fenster öffnen zu dürfen. „Die Papiere würden davonfliegen!“ rief Pécuchet, der außerdem noch die Zugluft fürchtete. Indessen rang er in diesem kleinen Zimmer nach Luft, das seit dem Morgen durch die Schiefer des Daches geheizt war. Bouvard sagte zu ihm: „An Ihrer Stelle würde ich meine Unterjacke ausziehen!“ „Was?“ Und Pécuchet senkte den Kopf, von Schrecken erfaßt bei dem Gedanken, ohne seine schützende Unterkleidung zu sein. „Begleiten Sie mich,“ begann Bouvard von neuem, „die Luft draußen wird Sie erfrischen.“ Schließlich zog Pécuchet seine Stiefel wieder an, während er brummte: „Sie behexen mich, mein Ehrenwort darauf!“ Und trotz der Entfernung begleitete er ihn bis zu seiner Wohnung an der Ecke der Rue de Béthune, gegenüber der Brücke de la Tournelle. Bouvards Zimmer, das gut gebohnt und mit Vorhängen von Perkal und Mahagonimöbeln ausgestattet war, erfreute sich eines Balkons, der auf den Fluß hinabsah. Seine beiden Hauptzierden waren ein Likörservice mitten auf der Kommode und am Spiegel entlang Daguerreotypien seiner Freunde; ein Ölgemälde hing im Alkoven. „Mein Onkel!“ sagte Bouvard. Und ein Leuchter, den er hielt, erhellte einen Herrn. Ein roter Backenbart verbreiterte sein Gesicht, das ein sich kräuselnder Haarschopf krönte. Er steckte in einer hohen Halsbinde mit dem dreifachen Hemdkragen, der Samtweste und dem schwarzen Rock. Auf der Hemdkrause waren Diamanten angebracht. Seine Augen wurden durch die Backen zusammengedrängt, und seine Züge zeigten ein leicht spöttisches Lächeln. Pécuchet konnte nicht umhin zu sagen: „Man könnte ihn für Ihren Vater halten!“ „Es ist mein Pate,“ erwiderte Bouvard nachlässig, indem er hinzufügte, er heiße mit seinen Taufnamen François Denys Bartholomée. Diejenigen Pécuchets waren Juste Romain Cyrille — und sie hatten dasselbe Alter: siebenundvierzig Jahre. Dieser Zufall machte ihnen Freude, obgleich er sie überraschte, denn jeder hatte den andern für bedeutend älter gehalten. Dann bewunderten sie die Vorsehung, deren Wege oft merkwürdig seien. „Denn schließlich, wären wir vorhin nicht ausgegangen, um einen Spaziergang zu machen, so hätten wir sterben können, ohne einander kennenzulernen.“ Und nachdem jeder dem andern die Adresse seines Hauswirtes gegeben hatte, wünschten sie einander gute Nacht. „Gehen Sie nicht zu den Damen!“ rief Bouvard auf der Treppe. Pécuchet stieg die Stufen hinab, ohne auf den Scherz zu antworten. — Am folgenden Tage rief im Hofe der Herren Gebrüder Descambos, Elsässische Stoffe, Rue Hautefeuille Nr. 92, eine Stimme: „Bouvard! Herr Bouvard!“ Der Gerufene steckte den Kopf zwischen den Scheiben durch und erkannte Pécuchet, der mit deutlicher Betonung sagte: „Ich bin nicht krank! Ich habe sie ausgezogen!“ „Was denn?“ „Sie!“ sagte Pécuchet, auf seine Brust weisend. All die Gespräche während des Tages, dazu die Temperatur des Zimmers und die Verdauungsarbeit hatten ihn gehindert einzuschlafen, so daß er die Unterjacke ausgezogen hatte, da er es nicht mehr darin aushielt. Am Morgen war ihm diese Tat, die glücklicherweise ohne Folgen geblieben war, ins Gedächtnis zurückgekommen, und er wollte Bouvard davon in Kenntnis setzen, der hierdurch in seiner Achtung zu wunderbarer Höhe gestiegen war.

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